Als im Juni diesen Jahres die Überführung der beiden Kreiskrankenhäuser in eine GmbH-Dachgesellschaft einstimmig –bei einer Enthaltung – beschlossen wurde, war so etwas wie Aufbruchsstimmung zu verspüren. Sicherlich, es war schon bezeichnend, dass zunächst einmal 25 Millionen € der neu gegründeten GmbH zugeführt werden mussten, um die anfängliche Existenzfähigkeit überhaupt einmal zu gewährleisten. Dieser Betrag zeigt einmal mehr, was sich in den Jahren bei den beiden finanziell maroden Kreiskrankenhäusern so als Altlast aufgehäuft hat. Aber durch die Überführung der beiden angeschlagenen Kreiskrankenhäuser mit dem Ziel einer Fusion sollte alles nur besser werden.
Was ist seither geschehen?
Zunächst einmal ist es beachtlich, dass in diesem Umfeld zwei neue Gremien geschaffen wurden, der Aufsichtsrat und darüber hinaus ein Beirat, beides Gremien, die nicht zwingend gesetzlich vorgeschrieben sind. Auf den ersten Blick mag sich hier keine unbedingte Notwendigkeit – auch im Hinblick der damit zusammenhängenden Kosten – zur freiwilligen Schaffung dieser beiden neuen Gremien ergeben.
Hält man sich allerdings vor Augen, dass im Aufsichtsrat eher die wesentlichen Entscheidungen der Geschäftsführung vorbereitet und kontrolliert und der Beirat im Wesentlichen als Impulsgeber fungiert, ist durch die Konstellation eine geschickte Filterfunktion entstanden: Die im Beirat gesammelten lokalpolitischen Akteure können sehr wohl durch konstruktive Mitarbeit wesentliche Impulse für die weiteren Geschicke der beiden Kreiskrankenhäuser setzen. Erweisen sich die Vorschläge von Seiten des Beirats als weniger brauchbar, sind sie letztendlich unbeachtlich.
Es würde allerdings auch verwundern, wenn die politisch Verantwortlichen auf Kreisebene vor dem Hintergrund ihrer jahrelangen Erfahrung nicht zu diesem Gestaltungsmittel gegriffen hätten.
Grundsätzlich besteht wohl Konsens darüber, dass in Deutschland das Gesundheitswesen von Strukturen der Über-, Unter- und auch Fehlversorgung geprägt ist, die unmittelbaren Einfluss auf die Finanzierbarkeit haben und somit auch geeignet sind, die Höhe der Versicherungsbeiträge sowohl in der gesetzlichen als auch der privaten Krankenversicherung zu beeinflussen. Die Schwierigkeit liegt auch hier bekanntlich im Detail. Es gilt hier festzustellen, wo genau in welcher Art und Umfang sich die entsprechenden Fehlstrukturen auftuen.
Hier könnte das gemeinsam vom Neusser Lukaskrankenhaus und den Rhein-Kreis Neuss Kliniken bei der als TRINOVIS GmbH als renommiertem Krankenhausberater in Auftrag gegebene Planungsgutachten vom Mai dieses Jahres weiterhelfen. Zugeben, die 202 Seiten Umfang sind keine leichte Kost, die erst einmal erarbeitet werden müssen. Dann allerdings ergibt sich sehr wohl das Bild, dass dieses Gutachten eine Art Master-Plan zur Sanierung der angeschlagenen Kreiskrankenhäuser sein kann, vorausgesetzt, die konkreten Hinweise zu den Strukturen der Über- und Fehlversorgung werden umgesetzt. Dies ist jedoch mehr als fraglich.
Denn auch selbst dann, wenn in allen Punkten mit den Neusser Lukaskliniken in allen Punkten vollumfänglich Einigung geschaffen werden könnte, ist doch damit zu rechnen, dass die Kirchturmpolitik als vollkommen missverstandener Lokalpatriotismus wieder einmal dazu führen, dass sich die Dormagener und Grevenbroicher Gefolgschaften in wesentlichen Punkten einander blockieren werden.
Doch auch selbst, wenn dies gelänge, wäre ein Erfolg weiterhin mehr als fraglich. Denn selbst wenn das TRINOVIS-Gutachten eins zu eins umgesetzt werden wurde, wäre eine überfällige Strukturanpassung lediglich eine Anpassung an zwingend erforderliche Grundvoraussetzungen zur Gesundung der beiden finanziell maroden Kreiskrankenhäuser. Diese Anpassungen wären aber alles andere als hinreichend.
Hier geht es doch darum, die erforderlichen Anpassungen trotz der zu erwartenden Widerstände in Kreisen der Belegschaft zielorientiert und möglichst zeitnah umzusetzen. Gelingt es nicht, die dringend erforderlichen Veränderungen im Motivationsbewusstsein der Mitarbeiter zu verankern wird letztendlich die dringend erforderlich Strukturanpassung verwässern und ohne langfristigen Effekt bleiben. Kurzum, hier wird das Changemanagement der eigentliche Schlüssel zum Erfolg werden. Nur, weder in den Reihen des Beirats noch in der Geschäftsleitung lassen sich hier zur Zeit charismatische und motivierte Changemanager ausmachen, das Strukturgutachten droht hiermit zum zahnlosen Papiertiger zu degenerieren.
Wie komplex hierbei die Umsetzung sein kann, zeigt sich an der Verpflegungsgesellschaft Rhein-Kreis-Neuss mbH, in der die schlichte Idee umgesetzt werden sollte, die beiden Kreiskrankenhäuser zentral zu bekochen. So wurde neben der kochenden Belegschaft eigens dafür eine Gesellschafterversammlung neben Geschäftsführer und zwei Prokuristen bestellt, der eine oder andere Patient gibt trotz alldem an, dass das Essen in den beiden Krankenhäusern sich nicht verbessert habe, eher im Gegenteil. Aber bekanntlich verderben ja zu viele Köche den Brei.
Die ersten Realisierungsmaßnahmen vor den sich hier auftuenden Hintergrund werfen allerdings so einige Fragen auf, konkret: die mehrheitlich bestätige Änderungen des Gesellschaftsvertrages der Rhein-Kreis Neuss Kliniken vom 05.09. aufgrund des Dringlichkeitsbeschlusses vom 12.07.2017.
Gerade bei Dringlichkeitsbeschlüssen lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Denn zum einen kann solchen Beschlüssen immer die Gefahr der versuchten Überrumplung innewohnen, zum anderen stellt sich schon die Frage, wieso der plötzliche Handlungsbedarf nicht schon früher absehbar war und ob nicht als Grund dafür frühere Versäumnisse vorliegen können, was alles keine Zeichen einer umsichtigen Planung sind.
In der Tat, der bestätige Dringlichkeitsbeschluss hat es in sich. Denn durch diesem Beschluss soll der Erwerb einer orthopädischen Fachpraxis in Köln-Longerich und Eingliederung in das kreiseigene medizinische Versorgungszentrum (MVZ) ermöglicht werden, das bis dahin allein im Rhein-Kreis Neuss auf dem Gebiet der Hals-Nasen-Ohrenheilkunde tätig gewesen ist.
Dadurch wird also der Rhein-Kreis Neuss nachträglich grundsätzlich ermächtigt, auch außerhalb des Kreises in beliebigen Fachrichtungen als Akteur im Gesundheitswesen aktiv zu werden. Dies stellt faktisch eine 180°-Wende zum bisherigen Gebaren des Rhein-Kreises Neuss im Gesundheitssektor da, war bis dahin die Zielrichtung des Rhein-Kreises Neuss in ersten Linie im Beitrag zum medizinischen Sicherstellungsauftrag zu sehen.
Wird nun alles besser mit dem Rhein-Kreis Neusser als Akteur im Gesundheitswesen in allen Fachbereichen auch über den Rhein-Kreis hinaus?
Auch hier tuen sich doch erhebliche Zweifel auf. Denn der Rhein-Kreis Neuss hat eine Praxis in einem für Neugründungen im Fachbereich Orthopädie gesperrten Bereich erworben.
Im Rahmen des Sicherstellungsauftrags setzen die Kassenärztlichen Vereinigungen in überversorgten Gebieten gezielt Zulassungssperren ein, auch um ein Überangebot an Behandlern in unterversorgte Bereiche zu lenken. Indem der Rhein-Kreis Neuss durch Praxisübernahme in überversorgten und gesperrten Gebieten, und das noch außerhalb des Rhein-Kreises Neuss – die Regulierung der Kassenärztlichen Vereinigungen umgeht, trägt der Rhein-Kreis Neuss mittelbar dazu bei, medizinische Unterversorgung in anderen Gebieten zumindest in Kauf zu nehmen.
Selbstverständlich mag es Gründe für die Übernahme der orthopädischen Fachpraxis in Köln-Longerich geben. Dass orthopädische Eingriffe als lukrativ gelten, ist ein offenes Geheimnis, denke man hier zum Beispiel an die gerade in der Bundesrepublik auffallend häufigen Hüftgelenksoperationen. Aber stellt man allein auf den möglichen wirtschaftlichen Vorteil für den Rhein-Kreis Neuss ab und blendet man die Verantwortlichkeit für alle Patienten auch außerhalb des Rhein-Kreises Neuss aus, was hier schon deshalb nicht möglich ist, weil ja eben außerhalb des Rhein-Kreises Neuss ein Praxiskauf getätigt wurde, bedarf es mehr Angaben. Hier sind Angaben zum Wert der Praxisausstattung, zum Umfeld und Struktur der erworbenen Praxis unerlässlich. Diese detaillierten Angaben liegen bis jetzt weder dem zuständigen Ausschuss noch dem Kreistag als Kontrollgremium vor.
Es scheint, dass der Erwerb der Fachpraxis in Longerich durch den Rhein-Kreis Neuss eher nicht den Patienten, sondern vor allem einer kleinen Gruppe von Beteiligten nutzen soll. Hier ist Transparenz und Aufklärungsarbeit gefordert.
Am 27.09. hat der Kreistag bekanntlich den vielfältigen Änderungen des Gesellschaftsvertrags der Rhein-Kreis Neuss Kliniken mehr Mehrheitsbeschluss bestätigt, nachdem sie – wie oben ausgeführt- zuvor in einer Dringlichkeitsentscheidung eingebracht worden sind. Wo immer es möglich ist, werden dabei unbestimmte Rechtsbegriffe oder offene Klauseln verwendet. Dadurch will sich der Rhein-Kreis Neuss alle möglichen Möglichkeiten offenhalten, auch über den Rhein-Kreis Neuss hinaus. Im Umkehrschluss bedeutet dies freilich, dass bis jetzt noch immer kein Masterplan zur Krankenhaussanierung vorliegt oder schon jetzt nicht umgesetzt werden konnte. Hier liegt keine Wille zur Gestaltung vor – sei es im Aufzeigen bestimmter Bandbreiten oder gar konkreter Maßnahmen-, überfällige Entscheidungen werden unter Wahrungen aller möglichen Optionen weiter hinausgeschoben.
All dies lässt für die weitere Zukunft der Kreiskrankenhäuser nichts Gutes erwarten.